Endymion: Roman (German Edition) by Simmons Dan

Endymion: Roman (German Edition) by Simmons Dan

Autor:Simmons, Dan [Simmons, Dan]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: E-Books der Verlagsgruppe Random House GmbH
veröffentlicht: 2014-02-09T23:00:00+00:00


6

Meiner Erfahrung nach empfindet man unmittelbar nach einer traumatischen Trennung – wenn man zum Beispiel seine Familie verlässt und in den Krieg zieht, nach dem Tod eines Familienangehörigen oder nach einem Abschied von seiner Liebsten ohne Gewissheit auf ein Wiedersehen – eine seltsame Ruhe, fast ein Gefühl der Erleichterung, als wäre das Schlimmste passiert und man müsste nichts anderes mehr fürchten. So war es an dem regnerischen Morgen vor der Dämmerung, als ich Aenea auf der Alten Erde zurückließ.

Das Kajak, in dem ich paddelte, war klein, der Mississippi groß. Anfangs paddelte ich, von Adrenalin aufgeputscht, mit einer konzentrierten Wachsamkeit in der Dunkelheit, die Angst gleichkam, und strengte die Augen an, um Baumstümpfe und Sandbänke und Treibgut in den tosenden Fluten zu erkennen. Der Fluss war an dieser Stelle sehr breit, fast eine Meile, schätzte ich – der Alte Architekt hatte die archaischen englischen Maße für Länge und Entfernung benutzt, Fuß, Yards, Meilen, und die meisten von uns in Taliesin hatten sich angewöhnt, seinem Beispiel zu folgen –, und die Ufer schienen mit abgestorbenen Bäumen übersät zu sein, an denen man abschätzen konnte, dass das Wasser über sein ursprüngliches Bett hinaus gestiegen war und Hunderte Meter bedeckte, sodass der Fluss auf beiden Seiten bis zu hohen Klippen angeschwollen war.

Etwa eine Stunde nach dem Abschied von meiner Freundin wurde es langsam hell; zuerst konnte ich graue Wolken und schwarzgraue Felsen rechts von mir unterscheiden, dann ein fahles, kaltes Licht auf der Oberfläche des Flusses selbst. Ich hatte gut daran getan, mich in der Nacht zu fürchten: Im Fluss wimmelte es von Baumstümpfen und den langen Fingern von Sandbänken; lange, vollgesogene Baumstämme mit Hydraköpfen aus Wurzeln rasten in der Mittelströmung an mir vorbei und zerschmetterten alles in ihrem Weg mit der Gewalt von Rammen. Ich suchte mir die, wie ich hoffte, sanfteste Strömung aus, paddelte heftig, um Treibgut auszuweichen, und versuchte den Sonnenaufgang zu genießen.

Ich paddelte den ganzen Morgen nach Süden und sah keine Spur menschlicher Behausungen an den Ufern, abgesehen von einem letzten Abschiedsblick auf ein uraltes, ehemals weißes Gebäude zwischen den abgestorbenen Bäumen im Brackwasser des ehemaligen Westufers, das inzwischen ein Sumpf am Fuß der Klippen war. Zweimal ging ich auf Inseln an Land: einmal, um mich zu erleichtern, und das zweite Mal, um den kleinen Rucksack zu verstauen, der mein einziges Gepäckstück bildete. Während dieser zweiten Rast – am Vormittag, als die Sonne den Fluss und mich wärmte – saß ich auf einem Baumstamm auf einer Sandbank und aß eines der Sandwiches mit kaltem Braten und Senf, die Aenea in der Nacht für mich gemacht hatte. Ich hatte zwei Wasserflaschen mitgebracht – eine hing an meinem Gürtel, eine war im Rucksack –, und ich trank das Wasser sparsam, weil ich nicht wusste, ob das Wasser des Mississippi trinkbar war und wann ich wieder frischen Nachschub finden würde.

Es war Nachmittag, als ich die Stadt und den Bogen vor mir sah.

Kurz vorher hatte sich ein zweiter Fluss auf meiner rechten Seite mit dem Mississippi vereinigt, was den Kanal sichtlich verbreiterte. Ich war



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